„Wenn ich Unternehmensleiter aus dem Ausland mit nach Belval nehme, können sie kaum glauben, welch fantastisches Ökosystem hier entstanden ist. Die meisten sind dann sehr gespannt darauf, dieses ihnen völlig unbekannte Quartier zu erkunden, das uns als fruchtbares Experimentierlabor dient.“ So formuliert es Laurent Probst, Partner und Leiter des Bereichs Economic Development, Digital Transformation and Innovation bei PwC. Stadtviertel wie Belval mit einem gemischten Nutzungsprofil – Gewerbe, Technologie, Bildung und Wohnen – sind wahre Katalysatoren der Innovation und bringen häufig eine Fülle neuer technologischer Lösungen hervor.
Ihre Aufgabe bei PwC ist es, Unternehmen dabei zu unterstützen, Teil der derzeitigen technologischen Revolution zu werden. Wie läuft das genau ab?
L.P.: „Ich führe sie an die Technologien heran, die wirtschaftliches Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen versprechen. Es geht darum, ihnen bei der Entscheidung zu helfen, in welche Technologie investiert werden soll, und sie dann bei der Einführung geeigneter Infrastrukturen oder der Ausbildung der zukünftigen Arbeitskräfte zu unterstützen. Häufig sprechen wir da von neuen digitalen Berufen, die erst noch entstehen. Dann müssen sie natürlich auch ihr entsprechendes Regelwerk anpassen, wobei wir ebenfalls behilflich sind. Ich habe schon von den ersten Anfängen von Belval an mit AGORA zusammengearbeitet. Die luxemburgische Regierung hatte von Anfang an das Potenzial der Digitalisierung und der Wissensökonomie für die Entwicklung dieses Standorts erkannt. Cybersicherheit, grüne Technologien, Tools im Bereich E-Health und neue Aktivitäten in Luft- und Raumfahrt sind für Städte heutzutage vielversprechende Tätigkeitsfelder, mit denen ich mich sowohl aus technologischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht beschäftige. Meine Arbeit ist irgendwo zwischen der eines Managers und der eines Digitalisierungsexperten einzuordnen, der ein gutes Verständnis für die Entwicklung der künstlichen Intelligenz oder beispielsweise auch der Herausforderungen im Zusammenhang mit Cloud Computing mitbringen muss. All das sind Tätigkeitsfelder, die die Grundlage des wirtschaftlichen und intellektuellen Lebens in Belval ausmachen und den Standort nach und nach zu einem attraktiven Technologiezentrum für Start-ups und größere Unternehmen im digitalen Bereich machen werden. Luxemburg träumt insgeheim davon, eine Start-up-Nation zu werden. Belval ist der erste Schritt auf diesem Weg.“
Welche konkreten Beispiele in Belval benutzen Sie, um deutlich zu machen, dass es der ideale Standort für Start-ups ist, die neue, innovative Ideen austesten wollen?
L.P.: „ Es gibt in Belval beispielsweise ein Unternehmen, das aus dem Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LSCB) hervorgegangen ist und das ein künstliches Gehirn geschaffen hat, das ein Netzwerk von Neuronen reproduziert, die sich regenerieren und vervielfachen können. Das ist unglaublich. Das LCSB arbeitet im Übrigen auch zusammen mit HighTech-Unternehmen wie Ksilink an der Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten für die Parkinson-Krankheit. Dann ist da noch Food4All, das eine rasante Entwicklung hinter sich hat und Einkaufen auf besonders nachhaltige Weise ermöglicht. Die Applikation bietet Zugang zu Hunderten von hochwertigen Produkten mit in Kürze ablaufendem Haltbarkeitsdatum, die zu sehr günstigen Preisen angeboten werden. Das Unternehmen Odysseus bietet Dienstleistungen rund um den Einsatz von Satelliten an, von der Konzeption der Mission bis zum Betrieb des Satelliten im All, und Orbitare beschäftigt sich mit der Entwicklung von Lösungen, um die persönliche Kommunikation per Satellit an die kontinuierlich steigenden Konnektivitätsbedürfnisse der Menschen von heute anzupassen.
Warum sind neue Quartiere außerhalb der großen Zentren besonders gut geeignet für diese Entwicklung neuer Technologien und Start-ups?
L.P.: „Die digitale Transformation geht mit der Entwicklung neuer, ultradicht besiedelter Städte einher. Einst herrschte in den Städten die Industrie vor, später die Wissensökonomie, und heute haben sie gar keine andere Wahl mehr, als sich der Internetökonomie und einer „transversalen“ Vision der Welt zu verschreiben. Die Städte, die sich dabei von der Masse abheben können, sind diejenigen mit einem gemischten Nutzungsprofil. Die industrielle Revolution hat dazu geführt, dass sich die Identität unserer Städte auf einem einzigen Fundament gründete. Im Zeitalter der Internetökonomie funktioniert das so nicht mehr. Wir müssen zu einer Vision der Stadt als vollständiges Ökosystem zurückkommen, mit Geschäften, öffentlicher Verwaltung, Schulen, Technologieunternehmen, Wohngebäuden und öffentlichen Plätzen, auf denen die Menschen zusammenkommen. Ab dem Moment, in dem dieses Ökosystem soweit entwickelt ist, dass es autonom wird, entsteht daraus ein eigenständiges Experimentierlabor, das zwangsläufig zu neuen Entwicklungen führt.
Wie entwickelt sich diese Art von Ökosystem, vor allem in Belval?
L.P.: „In Belval sind alle Voraussetzungen dafür gegeben: effiziente Infrastrukturen, eine internationale, gebildete Bevölkerung, Räume für soziale Interaktion, ein dynamischer Austausch mit der Außenwelt und die luxemburgische Gesetzgebung. Dieses Ökosystem bietet auch deshalb besonders günstige Bedingungen, weil die Beteiligten vor Ort ein sehr gutes Verständnis für die technologischen Fragen unserer Zeit haben. Der Standort erfüllt die Anforderungen an Vertrauenswürdigkeit, Sicherheit und Leistungsfähigkeit und bietet zudem leistungsstarke digitale Infrastrukturen, die eine gewisse Garantie für digitale Aktiva darstellen. Von Beginn an hat sich Belval als eine Art „Urban Testbed“ präsentiert. Vor allem aber wurden die Entwicklung und das wirtschaftliche Leben hier auf Disziplinen wie Datenanalyse, Health Tech oder künstliche Intelligenz aufgebaut, die alle sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene Priorität genießen. Die lokale Agenda steht also völlig im Einklang mit der nationalen und europäischen, wenn nicht sogar internationalen Agenda. Standorte wie diesen gibt es nicht viele in Europa.“
Und wie könnte Belval ein noch fruchtbareres Experimentierfeld werden?
L.P.: „Der nächste Schritt bestünde darin, Experimente im größeren Maßstab durchzuführen. Man könnte sich zum Beispiel vorstellen, an diesem Standort einen einwöchigen Stromausfall zu simulieren. Eine Art Katastrophenübung, die es uns ermöglichen würde, die Leistung der Generatoren zu testen, mit Motorgeneratoren zu experimentieren, diverse Notfallprotokolle durchzuspielen. Also eine Krisensituation zu simulieren, um ein Managementmodell für diese Krise zu entwickeln und dieses dann andernorts im Land zu replizieren, wenn es zu einer echten Krise kommen sollte. Es wäre wirklich unglaublich spannend, an einem Standort wie Belval diese Art von Tests im kleinen Maßstab durchzuführen.“
In der Reihe „AGORAMA“ erfahren Sie mehr über das Know-how von AGORA und wie Stadtplaner, Landschaftsgestalter, Ingenieure, Geographen, Wirtschaftswissenschaftler, IT- und Marketingspezialisten über die Städte von morgen denken.
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