Wir schreiben das Jahr 1850, irgendwo zwischen Belvaux und Esch. Es ist Sonntag und die Familien haben sich fein gemacht für einen Spaziergang durch das neue Naherholungsgebiet. Der Wald, der hier entsteht, der «Escher Bësch», ist äußerst beliebt. Auch bekannt unter dem Namen «Clair-Chênes» ist dies ein ebenso idyllischer wie magischer Ort. Vor allem die Kinder lieben ihn.
Derselbe Ort, eineinhalb Jahrhunderte später. Diesmal befinden wir uns im Park Um Belval; wir schreiben das Jahr 2021. Die Landschaft hat sich natürlich verändert, geprägt vom industriellen Wandel des 20. Jahrhundert und schließlich von einem städtischen Großprojekt, das hier seit 20 Jahren entsteht. Eins aber ist gleich geblieben: Zwar musste der Wald 1909 den Fabriken weichen, doch Naherholung findet hier auch heute wieder statt. Jetzt sind es unsere Zeitgenossen, die über hübsche Alleen flanieren, sich im Schatten einer Birke ausruhen oder im frischen Gras ein Schläfchen machen.
Begrünung der Überreste des Industriezeitalters
Denn die Natur ist immer noch da. Oder vielmehr wieder da. Das Bestreben von AGORA war es, mitten in Belval die Geschichte der Naturlandschaft, die einst zum Sonntagsspaziergang lockte, zu ehren und wiederaufleben zu lassen.
„Das Parkprojekt nahm bereits 2002 mit dem Masterplan von Belval seinen Anfang“, erinnert sich Beate Heigel, Architektin und Projektleiterin bei AGORA.
Zwischen den zukünftigen Quartieren waren noch freie Flächen zur Verfügung. Die Landschaft hatte sich dort sehr eigentümlich entwickelt: Auf dem Schottergelände, das die Industrie zurückgelassen hatte, waren inmitten ausgedehnter Wasserflächen Bäume und andere Vegetation gewachsen.“
Man kann sagen, dass die Natur sich ihr Territorium zurückerobert hatte. „Wir beschlossen also, dass wir ihr diesen Raum lassen würden“, erklärt Beate Heigel.
Eine Zeit lang war ein „Naturpark“ angedacht. Das Projekt entwickelte sich jedoch schließlich weiter. Das Ziel? Grünflächen zu schaffen, natürlich, aber auch Vielfalt zu pflegen. Denn in Belval wird Multifunktionalität groß geschrieben: Schließlich leben hier Studenten, Familien mit Kindern, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Senioren usw., alle zusammen an einem Ort. Letztlich war es die deutsch-französische Agence Ter, die den Wettbewerb um die Neugestaltung gewann. „Ihr Konzept gefiel uns besonders, weil es Flächen vorsah, die dieser Multifunktionalität gerecht wurden“, erinnert sich Beate Heigel. Es findet sich dort ein „Erinnerungspark“, in dem der von der Industrie zurückgelassene Schotter noch erhalten ist, daneben gibt es aber auch Spielflächen und schattige Ruhebereiche, einen Birkenhain usw.
Unter Belval ruht still eine Quelle…
Eine weitere Neuheit wird in Belval schon bald ebenfalls diese Verbindung zwischen Geschichte und Gegenwart betonen: der Pavillon der Quelle Bel-Val. Um den Sinn dieses Projekts zu verstehen, muss man in der Zeit zurückgehen. Bis ins Jahr 1868. Damals entdeckte Joseph Steichen, Sachverständiger am Obergerichtshof in Luxemburg, hier eine Mineralwasserquelle. Zu seinem unglaublichen Glück war die Wasserqualität ausgezeichnet. Ab 1893 wurde das Wasser abgefüllt und kommerziell vertrieben. Der Erfolg war enorm: Das kostbare Getränk ging schnell um die Welt. Wasser aus Bel-Val? „Das reinste Tafelwasser, das schmackhafteste Heilwasser!“, lautete der Slogan der damaligen Zeit.
Allerdings wurde die Förderung 1935 eingestellt und die ehrwürdige Quelle geriet in Vergessenheit. Die Jahrzehnte vergingen und niemand dachte mehr daran… Bis AGORA und die Gemeinde Sassenheim beschlossen, dass es Zeit sei, die Quelle wieder zum Leben zu erwecken.
„Die Quelle wurde 1999 wiederentdeckt, doch erst kürzlich kam die Idee auf, sie in der neu entstehenden Landschaft prominent in Szene zu setzen“, erzählt Cliff Schmit, Verantwortlicher des Kulturdienstes der Stadt Sassenheim. 2017 erfuhr Esch-sur-Alzette von seiner Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas 2022. Die perfekte Gelegenheit: „Unter den zahlreichen Projekten, die im Anschluss an diese Entscheidung ins Leben gerufen wurden, fand das eines Pavillons als Hommage an die Quelle schnell einstimmigen Anklang“, erklärt Cliff Schmit.
Einweihung des Pavillons im Sommer 2022
Seiner Ansicht nach dient dieses Projekt einem zweifachen Ziel: „Die erstaunliche Geschichte dieser Quelle zu erzählen, die hier in 200 m Tiefe entspringt, und gleichzeitig einen vielseitigen Ort der Begegnung für Besucher zu schaffen.“ Hier kommen also Geschichte und Entspannung zusammen.
Ende 2020 wurden die zukünftigen Erbauer des Pavillons bestimmt. Es ist das Luxemburger Kollektiv BeBunch (zwei Architekten und ein Designer) in Zusammenarbeit mit Ney & Partners als Ingenieurbüro und der Architektin und multidisziplinären Künstlerin Laura Mannelli für die Szenografie. Der Gedanke dahinter? Mit Hilfe des Pavillons zwei Welten verbinden, insbesondere durch das Mittel der virtuellen Realität:
Über die Mauern hinweg wird die Quelle und ihre Geschichte in Szene gesetzt. Der Pavillon wird zu einem Ort der Vermittlung, einem Medium zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen einer Welt, die lange vergessen war, und der Welt von heute.
Wenngleich die echte Quelle unter Tage bleibt (über die aktuelle Wasserqualität gibt es keine eindeutigen Erkenntnisse, und der Kostenaufwand für eine erneute Förderung wäre zu groß), wird dennoch das Thema Wasser im Mittelpunkt stehen. In Form kleiner Becken, die mit den Holzstrukturen des Pavillons im Dialog stehen. „Die Einweihung ist für Juni 2022 geplant“, erklärt Cliff Schmit, der es kaum noch erwarten kann.
Jardin Canal fast fertiggestellt
Diese faszinierende Hommage an das Element Wasser ist in Belval aber eigentlich gar keine Premiere. Sie findet sich auch an einem Ort, der ebenfalls der Entspannung und der Natur gewidmet ist: im Jardin Canal.
Ganz im Osten des Parks, nicht weit von Belval Süd, erinnert auch der Jardin Canal an vergangene Zeiten. „Einst durchquerte ein Wasserlauf den gesamten Standort Belval“, erzählt Beate Heigel, Architektin von AGORA. „Doch irgendwann wurde er in einem unterirdischen Kanal entlang Belval Süd umgeleitet.“
Die Idee war, durch ein dezentes Design an den ursprünglichen Verlauf zu erinnern: „Der Jardin Canal, entworfen von der Agence TER, spielt mit Farben und Formen, als Verweis auf das Wasser und seinen enormen Einfluss auf die Landschaft“, beschreibt Beate Heigel das Projekt. Drei Viertel des Parks sind bereits fertiggestellt. In Belval kann man die Zeit und das Wasser nicht aufhalten, aber die Geschichte bleibt.
Die Serie „Il était une fois“ erzählt die Unternehmensgeschichte von AGORA anhand von Ereignissen und Begegnungen mit Menschen, die diese Geschichte geprägt haben.
Alle Artikel der Serie finden Sie über den folgenden Tag.