Welche Fragen stellen sich im Hinblick auf die Mobilität im Quartier Belval?
„Das Projekt wurde 2001 aus der Taufe gehoben, und auch schon damals hatte die Frage der Mobilität hohe Priorität“, beginnt Thomas Rau seine Ausführungen. Es gab eine starke Nachfrage der beteiligten Gemeinden, den Individualverkehr zu reduzieren. Ihre Sorge war, das Projekt könne zu einem so starken Anstieg des Verkehrsaufkommens führen, dass das Quartier nicht in der Lage sein könnte, dies zu kompensieren. „Wir haben also ein innovatives Mobilitätskonzept entwickelt: Es nennt sich Modal Split“, erklärt Rau. Das Ziel? Die Nutzung des Autos zu beschränken.
Was ist der Modal Split?
Der Modal Split entspricht einer Verteilung des Transportaufkommens auf unterschiedliche Verkehrsmittel. „In Belval zielen wir auf einen Anteil des Individualverkehrs von 60 % gegenüber einer Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu 40 % ab“, so der Stadtplaner. Dazu muss man wissen, dass im Jahr 2017 in Luxemburg 69 % aller Wege mit dem Auto zurückgelegt wurden. Das Ziel von AGORA war und ist also relativ ambitioniert, steht aber in einer Linie mit der nationalen Politik, die auf ein nachhaltigeres und angenehmeres Stadtleben ausgerichtet ist. „Die Regierung will das Fahrrad fördern, vor allem mit landesweit verfügbaren, gut ausgebauten Radwegen“, betont Rau.

Welche Rolle spielt der Modal Split in Belval genau?
„Wir haben für unser Mobilitätsprojekt ein Konzept aufgestellt, das auf zwei Säulen beruht:
- einem hochwertigen Angebot, das die Menschen motiviert, öffentliche Transportmittel zu nutzen,
- und einer Begrenzung von Parkplätzen.“
Ziel ist es, einerseits eine maximale Nutzung der öffentlichen Transportmittel zu begünstigen und andererseits die Menschen davon abzuhalten, für jeden Weg das Auto zu nehmen. Um das zu erreichen, hat eine für dieses Thema inititiierte Arbeitsgruppe verschiedene Maßnahmen getroffen:
- Die Bushaltestellen werden so errichtet, dass ihr Abstand voneinander maximal 300 Meter beträgt
- die Taktzeiten der Züge wurden verkürzt (ein Zug alle 15 Minuten),
- Einrichtung von Buslinien für alle, auch zu weit entfernten Orten, z. B. für Grenzgänger,
- Begrenzung der Anzahl von Parkplätze, was auch für Firmenparkplätze gilt.
„Bis alle öffentlichen Transportmittel vollumfänglich zur Verfügung stehen, haben wir provisorische Parkplätze zur Verfügung gestellt, um die Bewohner nicht zu bestrafen und den Zugang zum Standort zu gewährleisten“, versichert der Stadtplaner jedoch.
Welche Transportmittel sollen das Auto in Belval ersetzen?
„Die Idee war, ein umfassendes und vielfältiges Angebot an unterschiedlichen Transportmitteln zu ermöglichen. Dazu gehören Züge, Busse, Radwege, die Schnelltram und das Auto“, erklärt Rau. Es soll aber nicht nur viele unterschiedliche Transportmittel geben, die Abstände zwischen den Abfahrtzeiten sollen auch kurz sein. An den Hauptachsen wurden gut ausgebaute Radwege angelegt, und an den Vël’Ok-Stationen gibt es Leihfahrräder in Selbstbedienung. Vom Bahnhof aus steht eine direkte Zugverbindung nach Luxemburg-Stadt zur Verfügung. Eine Ladestation ermöglicht es Fahrern von Elektroautos ihre Fahrzeuge aufzuladen.
Werden die Menschen Ihrer Ansicht nach diesen Verkehrsmitteln wirklich den Vorzug vor ihrem Auto geben?
„Sie werden das Für und Wider abwägen und sich für die, für sie günstigste Option entscheiden: die sie am wenigsten Zeit und Geld kostet. Wenn es ein wirklich gutes Transportangebot gibt, werden sie sich auch dafür entscheiden“, ist sich der Stadtplaner sicher.

Inwiefern kann das zu einer besseren Lebensqualität beitragen?
„Wenn man die Zahl der Autos reduziert, läuft das Leben in der Stadt entspannter ab. Es gibt weniger Lärm und die Luft ist besser.“ Die Bewohner stehen nicht mehr so oft im Stau, auch wenn manche darüber klagen, dass es zu wenige Parkplätze gibt. „Was wir an Parkplätzen vermissen, gewinnen wir an Lebensqualität in einer gesünderen, nachhaltigeren, saubereren Stadt.“
Welche Städte sind Ihrer Ansicht nach in Sachen Mobilität die größte Inspiration?
„Kopenhagen! Dort fahren viele Leute im Alltag Fahrrad, selbst im Winter, wenn es kalt ist. Die Frage stellt sich gar nicht. Das Fahrrad ist dort einfach ein sehr beliebtes Transportmittel. Auch in Amsterdam lag der Fokus schon immer auf den Radwegen, das Stadtzentrum ist gar nicht für Autos ausgebaut“, erklärt Thomas Rau. Das Fahrrad ist doch das perfekte Transportmittel, zumal man heute mit einem E-Bike ja auch viel weitere Strecken zurücklegen kann.

Denken Sie auf der Grundlage Ihrer Mobilitätsstudie für Belval anders über kommende Projekte wie Esch-Schifflange nach?
„Ja, vor allem weil sich auch die Einstellung zum Thema mittlerweile verändert hat. Für den Standort Esch-Schifflange haben wir einen Workshop mit vier Planungsbüros durchgeführt, die alle ein eigenes Projekt entwickelt haben. Als absolute Priorität hatten wir dabei die sanfte Mobilität vorgegeben. Das Siegerprojekt stammt im Übrigen von einem dänischen Büro, das ein autofreies Konzept eingereicht hat“, erklärt Thomas Rau. Man kann den Standort natürlich per Auto erreichen, muss es dann aber auf einem Parkplatz an der Peripherie abstellen. Der Rest erfolgt zu Fuß!

Was sind Ihrer Meinung nach die richtigen Wege für eine neue, nachhaltige Mobilität?
„Ich glaube, es wäre interessant, mehr Shared Spaces zu haben, d. h. Verkehrswege, die sich alle teilen: Autos, Fußgänger und Radfahrer. Jeder Verkehrsteilnehmer ist dann gleichberechtigt, niemand ist aufgrund seines Fortbewegungsmittels eingeschränkt.“ Diese Lösung appelliert an die kollektive Intelligenz. Sie schafft die Voraussetzung dafür, dass kein Platz mehr für unterschiedliche Wege verschwendet wird, wenn diese gar nicht gleichzeitig genutzt werden. Thomas Rau hält kurz inne und hebt den Blick zum Himmel. Vor seinem inneren Auge entsteht ein Bild von der Digitalisierung der Transportmittel, sodass niemand mehr ein eigenes Auto besitzt. Wenn öffentliche Transportmittel einfach zugänglich, vernetzt und gut genug ausgebaut sind und Sie die Möglichkeit haben, für besondere Fahrten mit nur einem Klick ein Auto zu leihen, warum sollte man sich dann noch ein eigenes leisten?
Nach Meinung von Thomas Rau wird es vor allem die Qualität des Transportangebots sein, die die Menschen dazu bringen wird, öffentliche Transportmittel zu bevorzugen. Ein kohärentes Konzept aus unterschiedlichen Transportmitteln zu schaffen, das dem Einzelnen die Wahl lässt, das ist die Herausforderung der nachhaltigen Mobilität. Und diese Herausforderung ist vor allem in Luxemburg keine kleine, wo die Hälfte aller Arbeitnehmer Grenzgänger sind und jeden Tag Dutzende von Kilometern zurücklegen, um zur Arbeit zu fahren.

Stadtgärten, Smart Cities, Öko-Viertel oder Zwischennutzungkonzept für den urbanen Raum, die „Tell me more!“-Serie erforscht neue Trends und erteilt Experten das Wort. ´
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