Im Büro wohnen, zu Hause arbeiten: neue Lebensstile sprengen alte Formen

Die Pariser Agentur PetitDidierPrioux entwarf für Belval den Wohnkomplex Millenium, in dem verschiedenen Formen des Wohnens mit Büro- und Werkstattflächen koexistieren. Gespräch mit einem Architekten, der scchon früh ahnte, dass sich Homeoffice und neue Formen des flexiblen Arbeitens zu einem dauerhaften Trend entwickeln könnten.

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Der Wohnkomplex Millenium, der vom Luxemburger Bauträger Tralux Immobilier in Belval realisiert wird, verfügt über 104 Wohnungen. Das Angebot umfasst ein sehr diverses Portfolio unterschiedlichster innovativer Wohnformen. Dafür hatte sich AGORA schon bei Ausschreibung des Projekts für die ersten Grundstücke des Quartiers Central Square entschieden. Das Pflichtenheft der Entwicklungsgesellschaft stellte tatsächlich eine Einladung an die Architekten dar, sich mit den neuesten Trends des urbanen Wohnens zu befassen und sich der Herausforderung zu stellen, originelle, aber realisierbare Konzepte zu präsentieren. Überzeugen konnte schließlich die Idee des Teams PetitDidierPrioux. Der Entwurf basiert auf einer Neuinterpretation der Vermischung von Arbeit und Privatem und will eine „natürliche Kontinuität“ zwischen diesen beiden Aspekten unseres Lebens schaffen. Gleichzeitig enthält er die Option, die gebäudeeigenen Dienstleistungen auch für ein externes Publikum zu öffnen. Bewohner, Kunden, Nachbarn, Besucher: Sie alle will das Millenium im Herzen der Stadt zusammenbringen.

Cédric Petitdidier – Vincent Prioux

Hybridisierung, Innovation, Flexibilität – Begriffe, die die beiden Architekten wie ein „Manifest“ vertreten. Cédric Petitdidier und Vincent Prioux sind sichtbar stolz darauf, mit dem Projekt Millenium einen großen Teil der Ambitionen ihrer vor 15 Jahren gegründeten Agentur erreicht zu haben. Ihre wichtigste Zielsetzung: Lösungen zu entwickeln und umzusetzen, die den Einzelnen mit der Gemeinschaft verbinden. „Das ist von entscheidender Bedeutung in einer Welt, in der individuelles, komfortables Wohnen eine große Rolle spielt. Schon aus Umweltgründen, aber auch zum Wohle der Gesellschaft müssen wir auch Wohnformen entwickeln, die unterschiedliche Funktionen verbinden – in diesem Fall Arbeit, Zusammenarbeit und Interaktion.“

Das Ziel ist klar, an Beispielen mangelt es nicht. Einige von ihnen tragen originelle Namen, und ihre Konzepte sind nicht minder originell.

„Wir hatten Belval von Anfang an als ein sehr gut strukturiertes Quartier vor Augen, wo das Stadtleben auf ein lebendiges Gesellschaftsleben trifft“, erklärt Cédric Petitdidier. „Wir wollten aber vermeiden, dass eine Trennung zwischen den unterschiedlichen Funktionen des Quartiers entsteht. Auf der einen Seite Arbeitsräume, die nur tagsüber genutzt werden und abends leerstehen, auf der anderen Seite öffentliche Räume und Freizeitmöglichkeiten, die eher nach Feierabend zum Leben erwachen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf haben wir ein Gebäude entworfen, das als gesellschaftlicher Motor agiert: ein einzigartiger Ort, der Wohnen, Arbeiten und gesellschaftliche Interaktion gleichzeitig ermöglicht.“

Sehr schnell kam dann der Gedanke des „Home-Office“ auf. Der vordere Bereich zur Straße hin beherbergt offene Büroflächen, Werkstätten oder Geschäfte hinter großen Glasfronten, die ein Gefühl der Klarheit und Offenheit vermitteln. Im hinteren Bereich liegen die Wohneinheiten mit Blick auf den Garten. Alles kann je nach Bedarf angepasst werden. Büroräume können vergrößert oder verkleinert und Wohnbereiche an neue Lebensumstände angepasst werden.

Die Kunst der Verbindung

Die Wohnungen in den oberen Etagen, ob Maisonnette oder eingeschossig, passen sich ebenfalls den neuen Arbeitsgewohnheiten an, die seit der Pandemie zu großen Teilen im Homeoffice stattfinden. „Wir haben das Millenium vor der COVID-19-Krise entworfen, aber uns war auch schon lange vorher klar, dass eine Wohnform, die keinerlei andere Nutzungsarten ermöglicht, nicht mehr den aktuellen Lebensumständen entspricht“, erklärt Cédric Petitdidier.

Jede der hellen und großzügig geschnittenen Wohnungen bietet die Möglichkeit, ein Homeoffice einzurichten. Die Vision der Architekten war aber eine noch sozialere Form der Büroarbeit. Die Bewohner des Millenium sollen sich eingeladen fühlen, mit ihrem Laptop zum Arbeiten auch einfach mal aufs Dach zu gehen, wo es eine Art Coworking-Café gibt, das auch für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Das „Coffice“, in dem auch kleinere Veranstaltungen stattfinden können, soll als gesellschaftlicher Treffpunkt dienen, der sein eigenes Einkommen generiert, aber auch als eine Art Bio-Gemüseladen, in dem leichte Gerichte aus den Produkten zubereitet und angeboten werden, die im angrenzenden Dachgarten wachsen.

Die Architekten hatten zudem die Vorstellung von „Gemeinschaftsetagen“ mit unterschiedlichsten Angeboten für alle Bewohner: Fitnessraum, Werkstatt, Kindertagesstätte, Spa… Im Außenbereich sollen Grünflächen zur Erholung einladen. „Wir hatten für das Millenium die Vorstellung eines Gebäudes, das auf Gemeinschaft ausgelegt ist und das innerhalb seiner Mauern das Ambiente eines Nachbarschaftsviertels ausstrahlt.“

Motiviert von dem Gedanken einer „Architektur der Geborgenheit“, in der Freundlichkeit und gute Nachbarschaft herrschen, wollten Vincent Prioux und Cédric Petitdidier das Millenium zu einem Musterprojekt für diese Vision machen: ein Gebäude, das seinen Bewohnern zwar Unabhängigkeit und Privatsphäre lässt, gleichzeitig aber auch die Interaktion zwischen Nachbarn und ein lebendiges Miteinander mit Besuchern oder Kunden ermöglicht, die im Quartier ein- und ausgehen.

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