AGORA hat sich in Belval nicht allein damit begnügt, Überreste der alten Stahlanlagen von ArcelorMittal (ehemals Arbed) zu erhalten. Bei den Überlegungen rund um die Zukunft des Standorts schien von Anfang an klar, dass diese Elemente eine entscheidende Rolle im Leben der Bewohner einnehmen sollten. Sie sollten eine neue Funktion erhalten, die ihrer „emotionalen Bedeutung“ gerecht wird. So wurde hier, mehr als andernorts, das Industrieerbe in einen besonders ansprechenden und zeitgemäßen Rahmen eingebunden, der nur durch einen komplexen Wiederbelebungsprozess möglich wurde, der über eine reine Sanierung weit hinausging.
Wenn sich spätabends die letzten Besucher der Rockhal, noch ganz in die Musik versunken, auf der Avenue du Rock’n’Roll zerstreuen, werfen sie schon mal einen bewundernden Blick auf die Hochöfen, die sich im Glanz der nächtlichen Beleuchtung in den Abendhimmel erheben. Sie sind das Symbol einer industriellen Tradition, die auch heute noch wertgeschätzt wird, und einer gelungenen Revitalisierung. In Belval dient die Sanierung des Industrieerbes als sozialer, ökonomischer und urbaner Entwicklungsmotor.
Schließlich sind in Luxemburg die Regel der Abstimmung und die Suche nach dem Kompromiss nicht nur leere Worte. Dieser stets auf Lösungen ausgerichtete Ansatz ist hier die Art und Weise, wie die Dinge angegangen werden. In diesem Sinne fanden von Anfang an auch die Diskussionen rund um das Industrieerbe von Belval statt. Die Entscheidung, es zu erhalten und zu neuem Leben zu erwecken, war übrigens weit weniger umstritten als an anderen Orten Europas. Kein Vergleich zu den aufgeheizten Debatten der 70er-Jahre rund um die Neugestaltung des Quartier des Halles oder den Bau des Centre Beaubourg in Paris.
Sehr unaufgeregt einigte man sich darauf, die Geschichte des Standorts zu wahren und seine Überreste zu erhalten, die vom ehemaligen Premierminister Jean-Claude Juncker übrigens als „nationales Symbol“ bezeichnet wurden.
„Die erste starke Geste in diese Richtung erfolgte bereits im Rahmen der Machbarkeitsstudien für die zukünftige Neugestaltung des Standorts. Schnell setzte sich die Idee durch, ausgehend von den Hochöfen über die ehemaligen Sinterbecken durch den Park und darüber hinaus eine natürliche Achse zu gestalten“, erinnert sich Robert Kocian, Direktor für Marketing und Entwicklung bei AGORA.
„Auf diese Weise ergibt sich ein ganz natürliches Grundgerüst für die Stadtentwicklung, und dieses Konzept wurde auch allgemein befürwortet.“ In einem nächsten Schritt wurde beschlossen, die beiden Hochöfen zu erhalten. Den ersten mit seiner vollständige Hülle, den zweiten in reduzierterer Form. Ein Konzept mit pädagogischem Ansatz: Während man den einen Ofen als Ganzes bewundern kann, wird der zweite als Skelett transparent.
So verbirgt sich in einem zeitgemäßen Stadtviertel, in dem die Bewohner heute ein modernes Leben führen, eine lebhafte Erinnerung an das Leben der Arbeiter in vergangenen Zeiten. Die allerersten Hochöfen der Adolf-Emil-Hütte, die 1909 errichtet worden waren, sind schon lange verschwunden. Doch die Erinnerung an sie schwingt noch in den von der Arbed (heute ArcelorMittal) zwischen 1965 und 1970 gebauten Hochöfen weiter, die nur wenige Jahre nach dem symbolischen letzten Abstich im Ofen B im Juli 1997 zu neuem Leben erweckt wurden. Gleichzeitig wird aber auch an eine noch fernere Vergangenheit vor dem Zeitalter der Stahlindustrie erinnert, als Belval noch „ein bezauberndes Tal mit einer Mineralquelle und einem üppigen Wald war, dem Bois du Clair Chêne (oder Escher Besch)“.
Industrieerbe nicht als Museum, sondern als Lebensraum
Von den ersten Projektanfängen an sollte das industrielle Erbe in das Stadtleben integriert werden und eine echte Rolle im Quartier spielen. Weder Agora noch die Partner des Unternehmens wollten dieses Erbe in ein reines Museumsstücke oder gar einen archäologischen Freiluftpark verwandeln. Daher haben der luxemburgische Staat und ArcelorMittal, Partner von GIE-Ersid und später von AGORA, in den Spezifikationen für den ersten städtebaulichen Wettbewerb auch auf dieser Forderung bestanden. Damit war das Konzept der „Cité des Sciences“ auf der Hochofenterrasse geboren.
Die riesigen majestätischen Hochöfen A und B des ehemaligen Stahlwerks Esch-Belval sind Zeugen einer großen industriellen Vergangenheit. Sie dokumentieren eine Phase der Stahlproduktion, die wesentlich zum Reichtum des Landes beigetragen und seine soziale Geschichte geprägt hat.
Die Landschaft und Geschichte der Hochofenterrasse wäre jedoch nicht vollständig, wenn nicht auch andere wesentliche Elemente dieser Vergangenheit entsprechend in Szene gesetzt worden wären.
Dies gilt für das heutige Besucherzetrum „Massenoire“ und die „Halle des Poches à fonte“, die sich beide am Fuße der beiden Stahlriesen befinden.
Aber auch das etwas weiter entfernte Universitätsgelände lohnt sich zu entdecken ebenso wie die staatlichen Forschungslabore. Die „Maison du Savoir“ zeichnet sich durch eine stilistische Strenge und eine absolut zeitgemäße Ästhetik aus, während die futuristische „Maison du Livre“, die in einem Teil der ehemaligen Möllerei untergebracht ist, Erstaunen und Bewunderung hervorruft.
Mitten in den industriellen Überresten und als Symbol für den Fortbestand des wissenschaftlichen und technischen Charakters des Standorts fand das Gründerzentrum „Technoport“ seine Heimat in einem Gebäude der 70er-Jahre, das noch heute vom Know-how der Ingenieure der damaligen Zeit zeugt.
Natürlich sollte man auch einen Blick auf die Fundamente des ehemaligen Hochofens C werfen, der seinerseits vollständig demontiert, nach China transportiert und dort erneut in Betrieb genommen wurde.
Dieser Ansatz einer dynamischen Wiederbelebung mit Blick für die Schönheit und Funktionalität des Terrains, jedoch ohne übertriebene Inszenierung, konnte im Jahr 2002 die Jury des von AGORA durchgeführten internationalen Wettbewerbs überzeugen. Der Wunsch aller Jurymitglieder war es, diese Zeitzeugen einer „vielfältigen und lebhaften neuen Bestimmung“ zuzuführen. Und das ist auch gelungen!
Vergangenheit zum Anfassen
AGORA und seinen Partnern war es aber nicht genug, den alten Industriegebäuden einfach neue Funktionen zuzuweisen. Sie wollten viel weiter gehen und die industrielle Geschichte Luxemburgs erzählen und das stolze, reiche Industrieerbe würdigen.
In diesem Zusammenhang wollte der luxemburgische Staat mit der Gründung des Nationalen Zentrums für Industriekultur (CNCI) ein wissenschaftliches und pädagogisches Unterstützungsinstrument entwickeln. Es handelt sich dabei um ein Kulturzentrum mit nationalem und grenzüberschreitendem Einfluss, das auf die Entdeckung der luxemburgischen Stahlindustrie, aber auch ganz allgemein auf die Industriekultur und die Geschichte der Arbeit ausgerichtet ist.
Seine schrittweise Umsetzung hat die Organisation vieler Ausstellungen und Seminare ermöglicht. Sie hat auch zur lang ersehnten Eröffnung des Hochofens A für die Öffentlichkeit im Jahr 2014 geführt, ein Erfolg, der weit über die Grenzen des Landes Interesse weckte.
Weitere Initiativen werden folgen. Schließlich war das erst der Anfang.
Die Serie „Il était une fois“ erzählt die Unternehmensgeschichte von AGORA anhand von Ereignissen und Begegnungen mit Menschen, die diese Geschichte geprägt haben.
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