Belval oder der Masterplan für ein neues Stadtviertel

Für das Stadtviertel Belval haben sich Architekten, Ingenieure, Landschaftsgestalter und Stadtplaner einen ganz besonderen Plan ausgedacht: eine Partitur, die alle Bewohner und Nutzer in einer gemeinsamen Komposition vereinen soll. Dieser Masterplan für Belval war von Anfang an ausgesprochen detailliert, hat sich aber im Laufe der Zeit noch weiter entwickelt.

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Wenn Orchestermusiker ein Musikstück interpretieren, müssen sie sich bei aller Kreativität doch immer an die Partitur halten. Bei der Stadtplanung ist das nicht anders: Architekten, Ingenieure, Landschaftsgestalter und Stadtplaner arbeiten immer auf der Grundlage ihres Masterplans. Dieses Dokument enthält die Vision, an der sich alles andere auszurichten hat. Und obwohl der Masterplan für Belval von Anfang an besonders detailliert ausgearbeitet war, hat er sich doch im Laufe der Zeit immer weiter entwickelt.

Architekten und Musiker kämpfen also denselben Kampf? ? So zumindest sieht es Rolo Fütterer, der vormals für das niederländische Architekturbüro Jo Coenen & Co Architekten tätig war, das die Grundversion dieses Masterplans für Belval seit 2002 ausgearbeitet hat und der diesen heute mit seinem eigenen Büro Mars betreut. Er versteht sich selbst auch als Dirigent. „Unser Masterplan ist wie eine Partitur“, erklärte er 2008 dem Magazin „Wunnen“ Luxembourg. „Die Architekten interpretieren diesen Plan wie Musiker die Noten. Einer muss aber immer wieder den Zusammenhang zwischen der Partitur und dieser Interpretation herstellen. Schließlich soll es auch in der Architektur zu keinen Missklängen kommen. Dazu braucht es eine Koordination, die vor allem auf dem Dialog basiert.“

Konsens als Kunstform

Der Dialog war und ist die Grundlage des Projekts Belval, dieses Stadtviertels, dessen Erfolg in großen Teilen der Konsensfähigkeit zu verdanken ist, für die die Luxemburger bekannt sind. Dabei werden immer zunächst alle Parteien mit einbezogen, damit man am Ende zu einer gemeinsamen Vision kommt. So entsteht durch kontinuierliche Abstimmung der Masterplan. Erforderlich sind dafür aber auch eine ganze Reihe vorbereitender Untersuchungen. Schließlich müssen die Art und Beschaffenheit des Bodens und der bestehenden Infrastrukturen, die Umweltbedingungen, die wirtschaftliche und soziale Situation sowie der Bedarf an privaten und öffentlichen Einrichtungen bedacht werden.

„Auf der Grundlage des Masterplans erfolgen Berechnungen und Einschätzungen, um zu sehen, was möglich ist“, erklärt Thomas Rau. Er ist Leiter der Abteilung für Stadtplanung und Infrastruktur bei AGORA. Im Masterplan wird die urbane Vision, die Vision der Landschaft und der Architektur entwickelt. Die Rollen der einzelnen Teilquartiere werden bestimmt und es wird festgelegt, welche wirtschaftlichen Bedingungen für ihre praktische Umsetzung gegeben sein müssen. Für Belval haben wir all das von Anfang an sehr ausführlich geplant. “

Gleichzeitig sollte sich dieser Plan im Laufe der Zeit aber auch an neue Gegebenheiten und Bedürfnisse anpassen lassen können. So gab es zwischen 1997 und 2020 zahlreiche Versionen des Masterplans. Vor allem im Jahr 2008 erfolgten beträchtliche Modifikationen. Von einem Dokument zum nächsten wurde der Traum, die Industriebrache in ein neues, gemischtes Quartier zu verwandeln, immer mehr zur Realität.

1997 bis 2002: die Vorbereitunge

1998 gibt es die Entwicklungsgesellschaft AGORA noch nicht. In Belval-West hat das Stahlwerk von ArcelorMittal den Betrieb eingestellt. Das Unternehmen beginnt zusammen mit dem luxemburgischen Staat an ersten Untersuchungen und Überlegungen zu arbeiten, die letztlich zur Entwicklung eines Masterplans für das zukünftige Stadtviertel Belval führen.

Die Interessengemeinschaft GIE-Ersid (Groupement d’intérêt économique pour l’étude de la reconversion des sites sidérurgiques) stuft Belval in der sogenannten AGIPLAN-Studie als Entwicklungsprojekt von nationaler Priorität ein. Das Dokument umfasst mehrere Kapitel: eine Untersuchung der Bodenbeschaffenheit, eine soziodemografische Analyse, eine Zusammenfassung der Bedürfnisse des Staates und der Kommunen Esch-sur-Alzette und Sassenheim usw… Es bildet die Grundlage für das daraufhin entwickelte endgültige Stadtkonzept.

In den ersten Plänen des GIE-Ersid ist das Quartier in drei Teilquartiere unterteilt, eines davon der Kultur und Bildung gewidmet, eines, das als Wohngebiet dienen soll, und ein drittes für gemischte Zwecke.

Eine Polyphonie von urbaner Dimension

Die Grundlagen eines ersten Masterplans werden daraufhin von der Planergruppe Blase-Böll vorgestellt und später auf Wunsch der Regierung ergänzt, die die Zukunft der Industriebrachen im Kontext der allgemeineren Entwicklung des gesamten Großherzogtums sehen möchte.

In seinem Bericht „Friches industrielles – Etat d’avancement et perspectives (Mai 2000)“ beschrieb das Ministerium dann: „Im Schatten der Hochöfen ein Gebäudekomplex, in dem sich Studenten, Forscher, Wirtschaftsakteure und Liebhaber von Kultur und Archäologie treffen, die alle dazu beitragen, dem Standort neues Leben einzuhauchen.“

Damit war das Konzept der „Cité des Sciences, de la Recherche et de l’Innovation“ geboren! Es war prägend für die anschließende Entwicklung des vom Architektur- und Planungsbüro Dewey & Muller vorgestellten Masterplans, mit dem ein wesentlich dichteres und urbaneres Projekt präsentiert wurde als ursprünglich angedacht.

Endgültiger Masterplan seit dem Jahr 2002

Ein neues Jahrzehnt beginnt. Luxemburg geht es mit einer fast schon explosiven Energie an. Das Land steht an einem wichtigen Scheidepunkt in seiner Geschichte und Entwicklung. Es wird endgültig beschlossen, die Industriebrachen umzuwandeln und wieder nutzbar zu machen. Im Fall Belval wird damit die erst im Oktober 2000 gegründete Entwicklungsgesellschaft AGORA betraut. Ihre erste Amtshandlung besteht in einer internationalen Ausschreibung für die Erstellung eines finalen Masterplans.

Jetzt geht es darum, das städteplanerische Konzept und die landschaftliche Gestaltung des neuen Quartiers zu bestimmen. Die „Cité des Sciences“ gilt fortan als staatliches Schlüsselprojekt für diesen Standort. Darüber hinaus sollte das neue Konzept auch die beiden Hochöfen enthalten, die weiterhin die Silhouette von Belval prägen sollten.

Ein ökologisches Quartier

Das Lastenheft der Ausschreibung forderte zudem einen Entwurf, der nachhaltiges Bauen und die Verwendung erneuerbarer Energien vorsah sowie eine entsprechende Planung des öffentlichen Nahverkehrs und des städtischen Raums.

Natürlich war es zu Beginn des neuen Jahrtausends undenkbar, die Planung eines neuen Stadtviertels nicht auf ökologischen Erwägungen zu gründen. Diese Vorgabe sollte im Lauf der folgenden Jahre jedoch noch mehr Gewicht bekommen.

Nach monatelanger Arbeit gewinnt schließlich das Büro Jo Coenen & Co aus Maastricht die Gunst der Jury. Ihr Projekt erfüllt alle Anforderungen des Lastenhefts und überzeugt durch eine „besondere Klarheit“. Die Jury erwähnt außerdem lobend: „Die Gestaltung des Parks und der gesamten Landschaft sind als beispielhaft anzusehen.“

2008: eine bedeutende Modifikation

„2008, als die wirtschaftliche Situation schwieriger wurde, realisierte AGORA, dass sich der Masterplan an die neuen Gegebenheiten des Immobilienmarkts anpassen musste, vor allem in Bezug auf das Viertel Square Mile“, erklärt Thomas Rau. „Das ist das Quartier mit der höchsten Dichte, und man hatte die Parzellen zu groß angelegt, sodass sich wenig Interessenten fanden. Potenzielle Bauträger wollten das Risiko nicht eingehen, auf so großen Grundstücken zu bauen. “

Für das Quartier Square Mile erfolgten daraufhin zwei grundlegende Änderungen. 2010 wurde im Bereich Esplanade der Akzent deutlich auf Büroflächen für kleine wie große Unternehmen gelegt. 2011 wurd im Anschluss an eine internationale Ausschreibung, die das Architekturbüro KCAP aus Rotterdam für sich entschied, das gesamte Zentrum des Teilquartiers Square Mile neu konzipiert.

Und zahlreiche Weiterentwicklungen…

Zudem waren weitere Anpassungen erforderlich: Auf Anregung von AGORA wurde 2014 das Konzept für den Park „Um Belval“ von einem „Naturpark“ in einen „Park mit vielfältigen Nutzungen“ umgewandelt Auch die Planung des Wohnquartiers Belval Süd wurde überarbeitet und „avantgardistischer“ gestaltet, wie Thomas Rau es nennt.

Die bisher letzte Änderung betraf einen internationalen Wettbewerb, den das Luxemburger Büro Metaform Architects in Zusammenarbeit mit Latz+Partner und dem Statistikbüro HLG gewann. Gegenstand dieser Ausschreibung war die Gestaltung des zukünftigen Place des Bassins, sprich die Umwandlung der alten Sinterbecken in einen öffentlichen Platz, der zum neuen pulsierenden Herzen des Quartiers Central Square werden soll.

Dieser gleichzeitig polyphone und evolutive Masterplan soll sicherstellen, dass die 120 Hektar des Stadtviertels Belval für aktuelle und zukünftige Generationen optimal genutzt werden. Auf in die Zukunft! Wie bei jedem Projekt auch hier das Motto von AGORA!

Die Serie „Il était une fois“ erzählt die Unternehmensgeschichte von AGORA anhand von Ereignissen und Begegnungen mit Menschen, die diese Geschichte geprägt haben.

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